In sechs Tagen von Genf nach Nizza

                            Sa, 21.07. - Sa. 28.07.2018

Die klassische Alpenüberquerung sollte über die berühmtesten Pässe der Tour de France führen und größtenteils auf der Route des Grandes Alpes liegen.

Alleine mit Rucksack und alles selbst vor Ort organisieren, mit einem eigenen Fahrer plus Transportfahrzeug oder mit einem kommerziellen Veranstalter? Nach langem Überlegen entschieden wir, d. h. Janusch, Michael, Peter und ich uns für den Karlsruher Veranstalter Velo Travel - und sollten diese Wahl keinen einzigen Augenblick bereuen.

 

Sa, 21.07.

Wir fuhren mit privaten Pkws am Samstagmorgen nach Karlsruhe. Die Renner waren dann schnell verladen und zusammen mit zwei weiteren Rennradfreaks ging es nach Genf. Gegen 17 Uhr kamen wir in Annemasse am Genfer See an.

 

So, 22.07. Tag 1: Zum „Einrollen“ der Wolf im Schafspelz

Annemasse – Les Gets (115 km, 2700 Hm)

  

v. l. n. r.: Markus, Janusch, Jens, Peter, Walter, Michael

 

Wer gedacht hatte, dass wir uns nun gemütlich einrollen könnten, wurde brutal enttäuscht. Markus und Jens legten gleich ein scharfes Tempo im Flachen vor, und da die Devise war, möglichst  als Gruppe zu fahren, mussten wir immer wieder kleinere Löcher zu den beiden zufahren und ihr Tempo an kleinen Anstiegen mitgehen. Die ersten Körner waren da bereits verbraten.

  

                                              Den Bergen entgegen

  

Endlich dann der erste Pass, der Col de la Ramaz. Mit 14,3 km und und 916 Hm nicht furchteinflößend, aber das Portal „Quäl dich.de“ vergleicht den Pass immerhin mit Alpe d`Huez. 

 

Col de la Ramaz     

 

Da war dann der zweite Pass des Tages schon ein ganz anderes Kaliber. Kein Geringerer als Jan Ullrich bezeichnete den Col de Joux Plan als den härtesten Tour de France Berg. Andere nennen ihn den „Wolf im Schafspelz“, weil er viel härter ist, als er aussieht. Denn 11,6 km mit knapp 1000 Hm hören sich nun wirklich nicht so schlimm an. Aber gleich im unteren Bereich beeindruckte uns der Pass mit 14 % Abschnitten, die in der warmen Julisonne schon weh taten. Micha frustrierte mit seiner aggressiven Fahrweise den Markus derart, dass dieser in der weiteren Woche es vermied, sich mit unserem Micha zu duellieren. Alleine Jens war an diesem Tag -  und nicht nur an diesem -  nicht zu schlagen.

 

                                                   Col de Joux Plane

 

Damit war das Schlimmste des Tages geschafft!Allerdings sollte uns noch ein unvermutetes Hindernis überraschen: Eine längere Baustelle, die nach Aussagen von Passanten unpassierbar wäre und uns einen Umweg von 60 bergigen Kilometern eingebracht hätte. Da meldeten die führenden Jens und Markus, man könnte sie, wenn auch mit Schwierigkeiten, passieren:

  

 

Unsere Unterkunft abends in Les Gets wurde von sehr netten Engländern geführt, die uns zunächst mit Tee, Kaffe und Kuchen und später zusammen mit englischen Freunden mit einem geselligen Abendessen im Freien ausgiebig verwöhnten.

 

Mo, 23.07. Tag 2: Alle guten Dinge sind … äh, vier - Alpenpässe

Les Gets – Les Saisies (110 km, 2900 Hm)

 

Heute standen gleich vier Alpenpässe auf dem Plan. Zunächst ging es den Col de la Colombiere mit 18,4 km und 1141 Hm hinauf. Zurückhaltend fahren war die Devise, denn es kamen ja noch drei weitere. Das hinderte Janusch und Micha aber nicht daran, mehr Gas zu geben und entsprechend früher oben anzukommen.

  

                                           Anstieg zum Col de la Colombiere

                                              Col de la Colombiere

 

In der Mittagspause, die unser Veranstalter Andrew dank langen Suchens an einer schattigen Stelle organisierte, wurden wir wie jeden Tag sehr nachhaltig verwöhnt mit von ihm gemachten Sandwiches, Cola, Mineralwasser, Apfelsaft, Kaffee und Kuchen. Das hätte nicht besser sein können! Da war es einfach von großem Vorteil, wenn man einen Guide hat, der selber Rennrad fährt und weiß, wie es einem geht, wenn man hungrig oder kaputt ist.

Weiter ging es in der Mittagshitze in den nächsten Anstieg. Uns erwartete der schattenlose Col de la Croix-Fry mit 11,6 km und 824 Hm. Nicht schlimm, wenn nur die Sonne nicht gewesen wäre. Aber die Landschaft entschädigte uns, gilt dieser Pass doch als einer der schönsten der Savoier Alpen.

  

                                              Col de la Croix_Fry

  

Vom nächsten Pass, dem Col des Aravis, bekamen wir nur die letzten dreihundert Höhenmeter mit, was uns nicht gerade verärgerte, da wir wussten, es kommt noch der Col des Saisies mit 14,5 km und 780 Hm. Und der letzte Pass am Tag ist bekanntlich immer schwer und so war es auch hier.

                                            Janusch: Fast geschafft!

 

 Di, 24.07. Tag 3: Mit dem epischen Col de Madeleine

Les Saisies – St. Francois (146 km, 3350 Hm)

 

Ob das nun die Königsetappe werden sollte? Zwei große Pässe der höchsten Kategorie mit einem 500 Hm umfassenden Zwischenanstieg standen im Roadbook. Wir freuten uns zunächst auf einen der landschaftlich schönsten Anstiege der französischen Alpen überhaupt, dem Cormet de Roselend.(19,5 km lang mit 1224 Hm). Mit diesem Anstieg befanden wir uns zum ersten Mal auf der berühmten Route des Grandes Alpes, die uns nun bis Nizza begleiten sollte. Da kurz vor Start mein Schaltwerk abgerissen war, durfte ich nun, nicht wie befürchtet, im Bus, sondern mit dem Rad unseres Guides weiter fahren. Er hatte es mitgenommen, um bei Gelegenheit selber mal ein, zwei Stunden fahren zu können.

 

So konnte auch ich die Landschaft am Stausee des Cormet de Roselend auf dem Renner bewundern:

  

 

Das nächste Ziel hieß Notre Dame du Pre und war eine kleinere Passauffahrt mit 500 Hm. Nicht ohne Tücken war die Abfahrt, denn auf dieser kleinen Nebenstraße waren viele Abschnitte zwar neu, aber nur geschottert. Schnell ging es weiter, nach einer Flachpassage erwartete uns die episch lange Auffahrt zum Col de Madeleine, dem Lieblingspass von Jan Ullrich. Die nackten Zahlen sind schon beeindruckend: 27,5 km Länge bei 1582 Hm. Schier endlos erfolgt der Anstieg im Wald, von einer Passhöhe ist nichts zu erahnen, geschweige denn, zu sehen. Micha und Janusch waren wieder mal weit voraus, vielleicht schon in der Herberge? Peter und ich fuhren unser eigenes Tempo und sahen endlich zu sehr fortgeschrittener Stunde, die lang ersehnte Passhöhe des Madeleine. Umso mehr freuten wir uns, als am Pass Micha und Janusch auftauchten zum obligatorischen RSG Leinburg Passfoto. Da dieses verwackelt wurde, dennoch „nur“ die beiden Gipfelstürmer alleine:

  

                                               Micha und Janusch

 

Zumindest ich war heute sehr froh, endlich im Hotel angekommen zu sein!

 

Mi, 25.07. Tag 4: Weiterhin mit Kaiserwetter

St. Francois – Valloire (97 km, 2750 Hm)

  

Von den heutigen Pässen erwartete uns mit dem Col de Glandon gleich ein ganz schwerer Brocken, was auch die Daten mit 24 km Länge und fast 1500 Hm verraten.

 

                                                 Col du Glandon

 

Da waren dann die wenigen Höhenmeter und Kilometer zur daneben liegenden Passhöhe des Col de la Croix de Fer schnell geschafft. Eine unglaublich lange Abfahrt mit 32 km entschädigte für die erlittenen Qualen.

 

 Da aber unseren beiden Gipfelstürmern Micha und Janusch die bisherigen Höhenmeter viel zu wenig waren, suchten sie sich noch einen Extrapass, der im Roadbook gar nicht vorgesehen war: Lacets de Montvernier. Mit seinen 18 Haarnadelkurven, die die Straße alle 150 m in die Gegenrichtung lenkt, wirkt der Anstieg wie eine Carrerabahn im Gebirge:

 

                                                  Lacets de Montvernier

  

Inzwischen gab auch ein Pedal von Janusch seinen Geist auf. Dank Michas Improvisationskunst konnte er zum Glück weiterfahren zum Col de la Telegraphe (11 km Anstieg mit 854 Hm).

  

                                              Col du Telegraphe

 

Damit war auch dieser tolle Tag geschafft und wir freuten uns auf das wieder einmal großartige französische Abendessen in Valloire.

 

Do, 26.07.  Tag 5: Tour-Gigant und Mondlandschaft

Valloire – Vars  (115 km 3000 Hm)

 

 Dieser Tag sollte ein weiterer Höhepunkt der Tour werden, standen doch der Passriese Galibier und der Col d`Izoard auf dem Plan. Gleich morgens ging es in Valloire in den Anstieg zum Galibier (18 km, 1246 Hm). Es sollte eine autofreie Passauffahrt werden, denn ausgerechnet heute war am Galibier ein Bike Day. Wir durften also zusammen mit vielen anderen Radlern, auch E-Bike Fahrern, den legendären Pass in beeindruckender Landschaft hoch fahren.

 

                                                Anstieg zum Galibier

 

 Wie unser Passfoto dokumentiert, waren wir heute besonders glücklich (Janusch) bzw. kaputt (Waldo).

  

                                               Passhöhe auf 2646 m

  

                                               Landschaft am Galibier

 

Konnte das landschaftlich noch getoppt werden? Eigentlich nicht, oder? Weiter ging es  nach langer Abfahrt und kurzer Mittagspause zum Col d`Izoard. Bezwungen werden mussten hier 19,2 km bergauf mit 1211 Hm. Besonders beeindruckend war die Landschaft kurz nach der Passhöhe des Izoard, die sogenannte Casse Dèserte, die zerbrochene Wüste - eine zerklüftete Marslandschaft mit gelblichen Felsnadeln und leblosen Geröllhängen.

  

                                               Landschaft am Col d`Izoard

 

Das Wetter hatte sich schlagartig verändert: Der seit Genf stets blaue Himmel verschwand, bedrohlich schwarze Regenwolken bauten sich auf. Der Regen erwischte uns voll in der Abfahrt. Ein Grund schneller abzufahren, denn unten konnte es nur besser werden. Genauso kam es: Unten war es wieder trocken, doch in Guillestre, am Beginn des Anstiegs zu unserem Etappenziel am Col de Vars, blitzte und donnerte es fürchterlich. Mit Optimismus, aber auch mit einem mulmigen Gefühl fuhren wir die ersten zwei Drittel des Col du Vars hoch nach Vars. Wie an allen anderen Tagen wurden wir im Restaurant abends lukullisch verwöhnt – diesmal von drei Schwestern.

 

Fr, 27.07. Tag 6: Eine Bergbesteigung zum Abschluss

Vars – Nizza (169 km, 2000 Hm)

  

Zunächst ging es die Reststrecke zur Passhöhe des Col de Vars hoch, was deutlich angenehmer war als die Beinahe-Gewitterfahrt am Tag davor.

                                   Janusch (wie auch alle andern) am Col de Vars

 

Nach einer wie immer schönen und unproblematischen Abfahrt sollte also nun die nächste und zugleich letzte große Herausforderung anstehen: Der Col de la Restefond mit anschließender Cime de la Bonette. Der Anstieg beginnt in der Hochprovence in Jausiers und führt in 22 km von 1240 m auf eine Gipfelhöhe von 2802 m.

  

                                             Bei Jausiers vor dem Anstieg

  

                                   Landschaft am Col de Restefond

  

Während man bei einer Passauffahrt normalerweise mit dem Pass die niedrigste Stelle der Umgebung überfährt, ist es hier völlig anders. Man steuert mit der Cime de la Bonette den höchsten Punkt der Umgebung an, da am Ende eine Ringstraße mit etwa 200 Hm bei 12 % Steigung zu überwinden ist:

  

                                               Die Cime de la Bonette

 

Das war keine Passauffahrt, sondern nichts anderes als eine Bergbesteigung – allerdings mit dem Rennrad!

  

                                        Auf 2802 m Höhe: Col de la Bonette

 

Nun also sollte es (fast) nur noch bergab gehen bis Nizza, dem Ziel der Sechstagesfahrt. Da wir abends noch etwas vorhatten, war die Devise nun „Tempo“: Ein RSG-Mannschaftszeitfahren war angesagt. Und wie das halt so ist bei der RSG, geht dabei schon mal einer verloren, während der Führende weiter Vollgas gibt.

  

                                               RSG-Mannschaftszeitfahren

 

Aber auch derlei Zwischenfälle wurden überwunden und wir erreichten Nizza spätnachmittags. Ein schon zu Hause geplantes Bad im Meer war der Abschluss dieses Tages wie auch einer Rennradreise, die in landschaftlicher, sportlicher und kameradschaftlicher Hinsicht nicht zu toppen war: Genf-Nizza sollte unbedingt jeder Rennradverrückte einmal in seinem Leben gemacht haben.

  

                                           Unser Abschluss in Nizza

 

Bericht: Walter

Fotos: Janusch